Interview«Die Lieferung von westlichen Kampfjets an die Ukraine wäre absurd»
Präsident Wolodimir Selenski wirbt für Kampfjet-Lieferungen. Mit Erfolg? Kiew informiert derweil über den Start einer russischen Grossoffensive im Donbass. Eine Wendung? Antworten von Roland Popp von der Militärakademie an der ETH Zürich.
Darum gehts
Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski bittet in London, Paris und Brüssel um Kampfjets.
Aus Kiew redet man derweil von einer neuen Grossoffensive Russlands im Donbass.
Roland Popp von der Militärakademie an der ETH Zürich erklärt im Interview, wieso westliche Jets in der Ukraine militärstrategisch wenig Sinn machen – und was er von den neusten Offensive-Nachrichten hält.
Streng ins Gericht geht Popp mit den westlichen Medien und den zahlreichen Experten ohne militärstrategisches Wissen.
Russland habe mit einer Grossoffensive im Donbass begonnen, heisst es aus der Ukraine. Herr Popp, wie ist der Stand der Dinge?
Wollen Sie die einzig seriöse Antwort darauf hören?
Immer.
Sie lautet: Keiner von uns kann das wissen. Wir haben so begrenzte Informationen, dass man daraus fast nichts lesen kann. Ich kann mich nur wundern angesichts all der sogenannten Experten, die alle Details und die angeblich taktischen Ziele der Kriegsteilnehmer kennen. Letzten Endes kann man als Wissenschaftler darüber seriös keine gesicherte Auskunft geben, und damit müssen wir uns zufriedengeben. Es geht auch nicht um Offensiven.
Um was geht es dann?
Dieser Krieg ist ein Abnutzungskrieg – und es ist der Charakter eines Abnutzungskrieges, dass sein Ende offen ist. So spielte es im Ersten Weltkrieg auch keine Rolle, dass die deutsche Armee tief in französischem Gebiet stand. Sie verlor den Abnutzungskrieg dennoch.
«Mischung aus Wunschdenken, Herdentrieb und wohl manchmal einfach Propaganda.»
Wir haben die Diskussion rund um die Kampfpanzer-Lieferungen gesehen. Kommen die Panzer schlicht zu spät?
Auch das kann niemand seriös sagen. Grundsätzlich dürfte die kleine Zahl westlicher Kampfpanzer nur lokale taktische Auswirkungen haben. Die ganzen Siegesphantasien, die in den westlichen Medien im Zusammenhang mit diesen Lieferungen einhergehen, sind völlig aus der Luft gegriffen und zeugen nur davon, dass militärstrategisches Wissen kaum noch vorhanden ist.
Nicht ein etwas hartes Bashing, Herr Popp?
Nein, tut mir leid. Gerade die Panzerlieferungen sind ein Beispiel dafür. Wer etwas von der Materie verstand, wusste früh, dass der Leopard-Panzer nicht in ausreichender Stückzahl und zeitgemässer Ausführung zur Verfügung stand, um in der Ukraine wirklich sinnvoll eingesetzt zu werden. Die erwartbaren etwa hundert Leopard-Panzer, die geliefert werden sollen, werden so gut wie keinen Effekt haben, das ist schon absehbar.
Wieso kommen all die Experten zu ihren Schlüssen, auf was beziehen die sich denn?
Ich kann es mir auch nicht ganz erklären. Es ist eine Mischung aus Wunschdenken, Herdentrieb und wohl manchmal auch einfach Propaganda. Wir haben schlicht die Informationen nicht, die wir für seriöse Bewertungen bräuchten.
Welche Informationen wären das?
Etwa die exakten Verluste: Wir kennen nur die Propagandazahlen beider Seiten, denen würde ich gar keinen Glauben schenken. Wir müssten auch wissen, wie hoch die strategischen Reserven noch sind, was die Ukraine in der jetzigen, zunehmend prekären Lage noch zur Verfügung hat.
«Die Russen haben andere Mengen zur Verfügung. Das könnte sich am Ende als matchentscheidend erweisen.»
Selenski wirbt jetzt in Europa auch für Kampfjets-Lieferungen. Gleichzeitig ist mancherorts eine regelrechte Selenski-Aversion spürbar. Ist Selenski einfach nur gierig?
Nein. Das ist ein Anführer einer Nation im Überlebenskampf. Da versucht man, jede Hilfe zu bekommen, die man kriegen kann. Ich finde, die Ukraine hat jedes Recht, solche Hilfe einzufordern – und andere Staaten haben jedes Recht, diese zu leisten oder eben auch nicht, je nach den strategischen Interessen. Ich habe jedes Verständnis für die Forderungen der Ukraine, auch wenn sie militärisch nicht immer sinnvoll sind.
Was erwarten Sie, wird es am Schluss auch Kampfjet-Lieferungen geben?
Wir sehen einfach eine Wiederholung der Kampagne, die wir auch bei den Kampfpanzern gesehen haben: Rein militärstrategisch ist die Lieferung von westlichen Kampfjets zumindest in naher Zukunft absurd und im Grunde genommen eine Ressourcenverschwendung. Das einzig einigermassen Relevante wäre, ältere Mig-Jets zu schicken, die es noch in einigen osteuropäischen Ländern gibt. Doch der Luftkrieg spielt eine nur untergeordnete Rolle.
Was bräuchte die Ukraine denn stattdessen?
Artilleriemunition und Geschütze. Die Ukraine hat ihre Geschütze zwar auf Nato-Standard umgestellt, doch die Nato kann nur begrenzt liefern. Die Russen haben da ganz andere Mengen zur Verfügung. Das könnte sich am Ende als matchentscheidend erweisen.
«Ich frage mich wirklich, ob das strategische Kalkül auf der westlichen Seite komplett durchdacht ist.»
Man liest aber doch immer wieder, dass Russlands Waffenarsenal zu Ende geht.
Das ist falsch. Die westlichen Geheimdienste lagen da zum Beispiel bei Raketen und Marschflugkörpern völlig daneben.
Herr Popp, mich beschleicht das Gefühl, dass Sie von der Strategie der westlichen Waffenlieferungen nicht viel halten. Stimmts?
Ich habe ernsthafte Zweifel daran, dass diese Strategie aufgehen kann. Eine russische Niederlage ist nicht unabwendbar oder zwangsläufig, wie man das fast überall liest. Wie gesagt: Man führt hier einen Abnutzungskrieg direkt an der Grenze einer regionalen Grossmacht wie Russland, die erhebliche logistische Vorteile hat, allein schon aufgrund der geografischen Distanzen. Die Absicht, einen Abnutzungskrieg gegen ein Land wie Russland gewinnen zu wollen, ist schon sehr ambitioniert. Ich frage mich auch wirklich, ob das strategische Kalkül auf der westlichen Seite komplett durchdacht ist.
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